Werkkommentar zu

"AquaAngelusVox - ein RaumklangMandala mit Hildegard von Bingen"

von <sabine schäfer // joachim krebs>

 

Konsistenzplan zu AquaAngelusVox

 

AQUA ANGELUS VOX

Ausgehend vom Weltbild der Hildegard von Bingen (1098-1179) der auf der Einheit von Mensch, Welt und Gott basierenden, ganzheitlich pantheistischen „ErlebnisMystik“ und auf der Grundlage der „Vereinigung“ von Empirie und Metaphysik – welche eine gleichermaßen intellektuell wie sinnlich erlebbare „HörErfahrung“ mit einbezieht – wird eine unmittelbar wirkende Atmosphäre, ein imaginierter „KlangErlebnisRaum“ für eine spirituell-kontemplative Meditation über den Werdens- und Seinszusammenhang von Mensch, Tier, Natur und Kosmos initiiert.

In Form eines immer aus seiner eigenen Mitte heraus vegetativ und eigendynamisch wuchernden RaumklangMandalas, wird die mehrkanalige RaumklangKomposition in kugelartiger Raum- und Bewegungschoreographie - mit metabolisch wechselnden Räumlichkeiten und quasi nach ihrer eigenen Mitte hinabtauchenden, spiralförmig multilinearen Bewegungsdynamiken - von dem Künstlerpaar multidimensional in den Raum gesetzt.

 

AQUA

Die Sphäre der Natur wird mit der „prima materia“ – dem Wasser – in sechs seiner wichtigsten Erscheinungsformen (Quelle, Brunnen, Bach, Regen, Fluß und Meer) und symbolischen Bedeutungsebenen – vom Morgengrauen über den Tag hinweg bis zum Abend – als eine imaginäre Hörreise inszeniert.

In seiner kontinuierlichen Präsenz bildet diese Klangschicht – welche die gesamte 56-minütige RaumklangKomposition in sechs metamorph ineinander übergehende RaumklangMilieus strukturiert – ein, vor allem durch künstlich erzeugte Räumlichkeiten und Bewegungsverhältnisse, ständig zwischen konkretem Naturalismus und abstraktem Klangereignis frei fluktuierendes Resonanzfeld für die beiden Klangschichten „Angelus“ und „Vox“.

 

ANGELUS

Die "Geister der Luft", die "geflügelten Seelen" - die Vögel - bilden, als die am intensivsten transformierte Klangschicht, ein Ensemble von sogenannten "entsubjektivierten Ausdrucksmaterien" (Deleuze/Guattari) und abstrakt-rhythmisch-melodischen KlangFiguren. Diese entstehen mit Hilfe sog. digitaler Klangprozessoren (Sampler), mittels derer, auf quasi naturwissenschaftliche Weise wie unter einem „Audio-Mikroskop“ (EndoSonoSkopie), die akustisch-molekulare Binnenstruktur der achtzehn verwendeten Vogelstimmen erforscht und hörbar gemacht wird und nach intensiven Sammel- und Archivierungstätigkeiten für die künstlerische Arbeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Die Vögel verweisen in ihrer artifiziellen Präsenz hier nun nicht mehr nur auf sich selbst oder auf ihre nichtklangliche Symbolik, sondern darüber hinaus auf das weite und offene, geschichtlich-kulturelle Assoziationsfeld, welches gemeinhin mit dem Wort "Engel" evoziert wird.

 

VOX

In structura mundi quasi in medio eius homo est - Mitten im Weltenbau steht der Mensch.

Diesem Zitat Hildegards folgend, in dem der Makrokosmos „Welt“ vom Mikrokosmos „Mensch“ her gesehen und erfahren wird, bildet das gänzlich untransformierte "original" belassene von drei Frauenstimmen a cappella gesungene Responsorium "De Angelis" von Hildegard von Bingen, die dritte Klangschicht. Das 15-zeilige Responsorium wurde lediglich, den natürlichen Atem- und Textzäsuren folgend, in 55 einzelne Klangformeln zerlegt und bildet, in seiner original chronologischen Reihenfolge – über die ganze Komposition nach streng harmonikal-symmetrischen Gesetzen verteilt – eine quasi an 55 Wort-Klang-Säulen imaginär aufgehängte RaumklangMatrix, welche die für den Menschen linear vergehende Erlebniszeit strukturiert.