ProsaPhon(ie)
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mit Textlinien von Konrad Bayer
Stimmen: Rufus Beck, Peter Fitz, Friedhelm Ptok
Ursendung: SWR 2 Radio-Art Hörspiel, 10. Oktober 2002, 21h |
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ProsaPhon(ie) Partiturausschnitt mit den Textzeilen 9 bis 11 aus <stadt> |
Als Versuch einer "Topologie der Sprache" hat Konrad Bayer (1932-1964) seine ‚Wortverschränkungstexte' verstanden, in denen - wie im Text "flucht" - in endloser Kette die letzte Silbe eines Wortes die erste Silbe des nächsten bildet. "Wenn man Prosa im Sinne des ‚Erzählfadens' als etwas Lineares versteht", sagt Gerhard Rühm, dann sei "Konrad Bayer mit der ‚flucht' der totale Prosaist". - Die linearen Strukturen aus diesem und zwei weiteren Texten des Wiener Experimentators Konrad Bayer werden im Hörstück des Komponisten- und Medienkünstlerpaares <sabine schäfer // joachim krebs> zu einer Konsistenz-Maschine aus Sprache und Klang, die selbstläufig erscheint, aber eine hochdramatische Spannung entwickelt.
Gerade durch die blockartige und sukzessive Gegenüberstellung von Klang und Sprache, in Form einzelner, artifiziell gestalteter sogenannter Klang- und SprachMilieus - welche an ihren Rändern auf vielfältigste Art, nicht nur akustisch, miteinander verwoben sind - wird es dem Hörer möglich, die "inneren", rein klanglichen Intensitäten der vom Künstlerpaar, erst mit Hilfe computergestützter, digitaler Aufnahme-, Schnitt- und Montagetechniken, produzierten "SprachklangLinien" deutlicher wahrzunehmen.
Um auch die Rezeption der - vor allem mittels des Prozesses der sog. "Klangmikroskopierung" durch diverse Samplingtechniken - differenziert gestalteten multidimensionalen Räumlichkeiten der akustischen Mikrostrukturen der in dieser "KlangSprachKomposition" verwendeten Geräusch- und Klangmaterialien aus der menschlichen Um- und Arbeitswelt sowie der Tier- und Natursphäre zu intensivieren, wird der Gebrauch von Kopfhörern von den Autoren nachdrücklich empfohlen.
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Partiturausschnitt | |
Werk-Text zu ProsaPhon(ie) - eine sonotopologische KlangSprachKonsistenzMaschine Alleiniges Sprachklangmaterial der radiophonen Komposition ProsaPhon(ie) bilden die, von den drei Schauspielern (Peter Fitz, Friedhelm Ptock und Rufus Beck) gesprochene, 1962 entstandene Prosatexte <flucht>, <stadt> und <der die mann> des österreichischen Schriftstellers Konrad Bayer, der im Umfeld der sog. “Wiener Gruppe” um Artmann, Achleitner, Rühm und Wiener lebte und arbeitete. Die von Konrad Bayer „aus der Skepsis an der Kommunikationsfähigkeit von Sprache“ (Rühm) heraus entwickelten autonomen, literarischen Techniken der quasi analytischen Sprachbehandlung, führte u.a. im Spätwerk Bayers (er starb 1964 durch Freitod) zu der Sprachmontagetechnik der Wortverschränkung. Diese Verfahrensweise - von Bayer ausdrücklich als “Topologie der Sprache” bezeichnet - basiert auf dem Prinzip der Gleichheit des rein klanglichen Anteils einzelner Worte oder Wortsilben bei gleichzeitiger Vieldeutigkeit der semantischen Bedeutungsebenen. Diese Art der Sprachbehandlung, insbesondere bei den Prosatexten <stadt> und <flucht> zeigt mit der Tendenz zur Verklanglichung von Sprache „an sich“ nicht nur, wie man zuerst vermuten könnte, deutliche Affinitäten zum Dada(ismus), bei dem jedoch oft die Semantik zugunsten der “Musikalisierung von Sprache” völlig aufgelöst erscheint. Die durch die Wortverschränkungstechnik verursachte Beschleunigung der ununterbrochen weiterfließenden Semantikschichtungen, bei gleichzeitiger Erhöhung der „Ereignisdichte“ der unterschiedlichsten Bedeutungsebenen, offenbaren auch vielfältigste Bezüge zu den aktuellen Entwicklungen in der durchrhythmisierten Sprachbehandlung der neueren Hip-Hop-Szene. Schon Gerhard Rühm, der Herausgeber des Gesamtwerks Bayers, wies im Anhang zu dem Wortverschränkungstext <flucht> auf die Unzulänglichkeiten der Präsentation dieser Sprach(Klang)Konsistenzexperimente in Buchform als reiner Lesetext hin. Er beschrieb auch Konrad Bayers ersten eigenen Präsentationsversuch, diesen Text als quasi unendlich fortlaufende Spirale rezipierbar zu machen, indem er ihn auf ein, um die eigene Achse rotierendes, zylindrisches “mobiles element” (lesesäule) auf- und in Bewegung brachte. Diese Problematik der Präsentation der Texte (und die Bemerkung Rühms: “- wenn man prosa im sinne des ´erzählfadens´ als etwas lineares versteht, und das erscheint nicht abwegig, ist konrad bayer mit der <flucht> der totale prosaist”) forderten uns heraus, mit Hilfe digitaler, mehrspuriger Sprach- und Klangaufnahmetechniken und deren Bearbeitungsmöglichkeiten via Computerschnitt und Sampling-Technik, vielleicht adäquatere und den eigentlichen Intentionen des Autors gerechter werdende, auditive Rezeptionsmöglichkeiten der Prosatextlinien – ohne falsche Unterbrechung durch Zeilenumbruch – zu entwickeln. Dabei kam es uns vor allem darauf an, die Multidimensionalität der semantischen Texturebene herauszuarbeiten, um sie - bei gleichzeitiger, konsequenter Beibehaltung der kontinuierlich-eindimensional angelegten phonetischen Textlinien - in ihrer multi-linearen Mehrdeutigkeit, als einen vom Rezipienten in jedem Augenblick wieder neu zu leistenden, wandelbaren Wahrnehmungsprozess verschiedenster Deutungsmöglichkeiten erscheinen zu lassen. Somit werden einerseits die Ambivalenz des nur eindeutigen, semantischen Sinnbegriffs von Sprache und andererseits die potentiellen, vegetativ-organisch nach allen Richtungen hin vieldeutigen Semantik-Konsistenz-Linienvernetzungsmöglichkeiten - mit ihren jeweiligen rein klanglichen Qualitäten - für den Radiohörer auf eine neue Art erfahr- und hörbar gemacht. Die Produktion dieser transparent durchhörbaren, multidimensionalen Semantikschichtungen – bei gleichzeitiger Wahrung der eindimensional angelegten äußeren Form der Textlinien – gelingt umso mehr, wie die “inneren klanglichen Intensitäten” von Sprache durch eigendynamisch erzeugte und künstlerisch hoch-artifiziell gestaltete Selbstintensivierungsschleifen (Loops !) nach außen gebracht werden können. Getreu der sonotopologischen Devise “jedem Wort seinen Ort – jedem Klang seine Zeit” kommt der artifiziellen, räumlichen und zeitlichen Gestaltung der SprachklangLinien eine große Bedeutung zu. Durch die beschleunigte oder verlangsamte, künstlerisch rhythmisch gestaltete und räumlich gesetzte SprachklangBewegung mutieren dabei einzelne “Wort-Punkte” zu frei im Raum flottierenden, vegetativ wuchernden SprachklangLinien. Währenddessen entsteht dabei ein permanent zwischen Sprache und Klang / Semantik und Phonetik fluktuierendes „Zwischenplateau“ als akustische Konstruktions- und Repräsentationsmatrix zur Komposition solch einer imaginären SprachklangKonsistenzMaschine.
<sabine schäfer // joachim krebs>, 2002 |
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