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Neben die traditionellen Künste wie Malerei und Skulptur und neben das
überkommene Instrumentarium der klassischen Musik ist die
Medienkunst, also die Verbindung der herkömmlichen künstlerischen
Gattungen mit der neuen elektronischen Technologie getreten. Es hat gut
dreißig Jahre gebraucht, bis sich aus dieser Verbindung eine eigenständige
Disziplin herausbilden konnte, die - wenn auch noch argwöhnisch
beobachtet - inzwischen zum gleichberechtigten "Werkstoff" von
Ausstellungen und Konzerten geworden ist. Nach einer schwierigen Phase
des technischen Experimentes und einer entsprechend harten Durststrecke
der öffentlichen Akzeptanz ist es der Medienkunst inzwischen - so können
wir heute wohl behaupten - gelungen, in eine fruchtbare und tatsächliche
Konkurrenz mit der traditionellen bildenden Kunst und Musik zu treten.
Die Karlsruher Musikerin und Komponistin Sabine Schäfer gehört zur jüngeren Künstlergeneration, die mit einem neuen Selbstverständnis und Selbstbewußtsein aus dem Vorrat der genannten Gattungsvielfalt zeitgenössischer Kunst schöpft. Aber im Vergleich etwa mit dem künstlerischen Werdegang eines Stephan von Huene oder einer Biographie wie der von Klaus Schöning wird deutlich, auf welcher Basis der Entfaltungsspielraum der jungen Medienkünstler wie Paul Garrin, Bill Viola oder eben auch Sabine Schäfer ruht: Entwicklungs- und Vermittlungspioniere geradezu auf der einen Seite, ausgebildete hochspezialisierte Jongleure auf der anderen Seite. Die neuen Werkzeuge und Instrumente der Medienkunst sind nun erschlossen, erprobt und einsatzbereit. Sie sind längst nur noch Mittel zum Zweck, Handwerkszeug als neues künstlerisches Ausdrucksmittel. Sabine Schäfer bespielt als Musikerin die Klaviatur der elektronischen Instrumentarien, Medienkunst ist bei ihr ein neuartiges ausgefeiltes Klang- und Raumerlebnis. Die Substanz und Relevanz ihrer Arbeit gründet sich dabei im wesentlichen auf drei Pfeilern: einer soliden künstlerischen Ausbildung als Pianistin an der Musikhochschule Karlsruhe bei Günter Reinhold (Diplom 1984), einem anschliessenden Kompositionsstudium bei Mathias Spahlinger und Wolfgang Rihm (Konzertexamen 1992) und schließlich einer subtilen Neugier und einer anhaltenden Experimentierfreude auf dem Gebiet multimedialer Projekte. Aus dieser Verbindung sind in den letzten zehn Jahren bereits eine Vielzahl von Konzerten, Kompositionen und Aktionen entstanden, die ihren künstlerischen Horizont und ihr Erfahrungspotential beständig erweitert haben. So hat sich Sabine Schäfer schon seit Anfang der 80er Jahre mit elektronischer Musik beschäftigt und künstlerisch/wissenschaftlich auseinandergesetzt. Fasziniert von der Entdeckung überraschender Klangfarben und neuer Spieltechniken stand dabei zunächst das improvisatorische Spiel mit elektronischen Geräten und Instrumenten im Vordergrund. Bei dieser Spielfreude, vor dem Hintergrund ihrer musikalischen Ausbildung und wohl auch unter Einfluß der gleichzeitigen experimentellen Rockmusik erscheint es nicht verwunderlich, daß auch Sabine Schäfer Gründungsmitglied einer Formation wurde. Die Gruppe "PANTA RHEI", bestehend aus Helmut Bieler-Wendt (Violine und Bariton- Violektra) und Sabine Schäfer (Klavier und Synthesizer), arbeitete von 1984 - 1991 zusammen und hat in dieser Zeit vornehmlich interdisziplinäre Projekte realisiert. Das musikalische Programm - eigentlich experimentelle Improvisationen bzw. Konzeptkompositionen - wurde dabei stets aufs neue definiert durch die temporäre Zusammenarbeit mit anderen Musikern, bildenden Künstlern, Dichtern, Schauspielern oder Tänzern; dazu zählt z.B. die Arbeit "KARLSRUHEBERLINKARLSRUHE", eine Tanzperformance mit Maria Barth von 1986, oder "microchrom I", eine Performance mit der Malerin Sibylle Wagner von 1988. Die Jahre 1990/91 bezeichnet Sabine Schäfer selbst als "Umbruchszeit" ihres künstlerischen Schaffens; sie richtet ihr Augenmerk seitdem verstärkt auf "Solo-Aktivitäten", ohne jedoch auf spartenübergreifende Ressourcen und das kreative Potential der Gruppenarbeit zu verzichten. Es ist eine Entdeckungsreise auf zwei parallelen Gleisen, die sie nun unternimmt: zum einen die Konzentration auf das Instrumentarium ihrer klassischen Ausbildung, zum anderen die Verselbständigung der elektronischen Technologie als eigenständiges musikalisches Medium. Begünstigt durch ein Auslandsstipendium des DAAD, das ihr Arbeitsmöglichkeiten an verschiedenen Computermusikzentren in den Niederlanden und in den USA ermöglicht, ein Arbeitsstipendium des Südwestfunks Baden-Baden am Experimentalstudio der Heinrich-Strobel- Stiftung in Freiburg und begünstigt durch einen Forschungsauftrag des Institute of Sonology Den Haag über computergesteuerte Selbstspielklaviere, entwickelte Sabine Schäfer auf dem einen Gleis u.a. eine "Musik für Klaviersolo und Computerflügel". Diese Arbeit wurde bei der Firma Boesendorfer im Wien realisiert und im September 1992 in Karlsruhe uraufgeführt. Sie ist im Grunde ein Duett zwischen einem Pianisten und einem digital gesteuerten Konzertflügel, der den Zwischenbereich zwischen der subjektiven Grenze der pianistischen Spieltechnik und der objektiven Grenze der Klaviermechanik thematisiert. Dabei entsteht kein Wettstreit wie beim Spiel gegen einen Schachcomputer, sondern der Computerflügel bleibt der Begleiter. Er liefert - zum Teil allerdings im extremen Dynamikbereich - die Farbgrundierungen für den Part des Pianisten, eine wunderbare Synergie also aus dem uralten Mensch-Maschine-Dialog bzw. eine fruchtbare Synthese des schon so oft bemühten Gegensatzpaares Kunst und Technik. Auf dem anderen Gleis artikulierte Sabine Schäfer schließlich den Stand ihrer Entwicklungsarbeit für rein künstlich hergestellte Klangwelten. Sie werden gestützt durch Erkenntnisse akustischer Wahrnehmungspsychologie und -physiologie und bei einzelnen Projekten wiederum begleitet von einer adäquaten Übersetzung in den optischen Bereich. "Topophonien" gibt Sabine Schäfer diesen Arbeiten einen übergeordneten Begriff, aus dem sie in den letzten drei Jahren einen mehrstufigen Zyklus abgeleitet hat. Während in der Topographie bekanntlich ein Ort beschrieben wird, wird in der Schäferschen Topophonie ein Ort zum Klingen gebracht (abgeleitet vom altgriechischen Wort tópos für Gegend, Ort, Raum und von phoné für Laut, Ton, Stimme). Gemeint ist damit aber nicht allein der Klang in einem Raum, sondern die Bewegung des Klanges durch einen Raum mit dem Ziel, der Musik eine reale dreidimensionale Räumlichkeit zu geben. Und hierfür bietet allein die Medientechnologie das geeignete Mittel; denn erst elektronische Geräte ermöglichen die Trennung von Klangerzeugung (Computer) und Klang- und Schaltquelle (Lautsprecher), während bei einem traditionellen Instrument beide Komponenten stets miteinander verbunden sind. Die Topophonien, also Klangräume, bestehen aus mehrgliedrigen Lautsprecherinstallationen, die je nach Raumbeschaffenheit unterschiedlich gruppiert und miteinander vernetzt sind. Über eine komplexe Hard- und Software, von Sukandar Kartadinata in Karlsruhe für Sabine Schäfer entwickelt, werden dann die Bewegungen des Klanges bzw. der Musik gesteuert und im vorgegebenen Raum die gewünschte Tiefenwirkung erzeugt. Sabine Schäfer differenziert diese Konfiguration nochmals in einen "begehbaren Klangkörper", bei dem der Besucher zusätzlich durch eigene Positionsveränderungen verschiedene Hörerfahrungen machen kann, deren Dauer und Intensität er selbst bestimmt, und eine "konzertante Klanginstallation", bei der das Publikum einen festen Platz einnimmt und das Hörerlebnis allein durch die festgeschriebene Klangbewegung in einer bestimmten Lautsprechergruppierung definiert wird. Sabine Schäfer hat bereits mehrere verschiedene Topophonien entwickelt und aufgeführt, die jeweils auf einen anderen architektonischen Kontext Bezug nahmen und in Verbindung mit zusätzlichen Medien wie Licht, Bild oder weiteren Musikinstrumenten sehr unterschiedliche Environments lieferten. Besondere Beachtung fanden die Konzerte bzw. Ausstellungen "TopoPhonicZones", eine Klang- und Lichtinstallation, zusammen mit Hens Breet und Werner Cee, in drei Räumen des Badischen Kunstvereins Karlsruhe (November 1992), "TopoPhonicSpheres", eine 16gliedrige Lautsprecherinstallation mit einem Computerflügel im Deutschen Hygienemuseum Dresden (Juni 1993) und erst jüngst "The Spiritual Location of Sound", wiederum eine 16gliedrige Lautsprecherinstallation mit einer begleitenden Lichtinszenierung von Hens Breet in der Heiliggeistkirche von Heidelberg (September 1993). Die elektronische Musik ist in all diesen Arbeiten tatsächlich "Raummusik" geworden, die in ihrer klanglichen Beschaffenheit und atmosphärischen Substanz auf das sie umgebende Ambiente hin erst komponiert wurde. Die gleichzeitige und in einem Konzept dargebotene Wirkung von Architektur, Licht, Musik und Zeit wird somit zu einem ungewöhnlichen synästhetischen Erlebnis. Quellenangabe: Nachdruck aus: H.Klotz/M.Roßnagl (Hrsg.), Medienkunstpreis 1993 (cantz Verlag Stuttgart 1993) S.93ff. (hier leicht gekürzt).
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