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Sabine Schäfers TopoPhonien sind betretbare und begehbare Klangumgebungen, mit denen ein physisch existenter Raum - eine Fabrikhalle, ein Saal, ein Kirchenschiff - akustisch-szenisch ergänzt und vollendet wird. Der Entwurf der Klangquellen- (der Lautsprecher-) Konfiguration wird also nach Zahl und Positionierung der Boxen auf das vorhandene architektonische Raumgebilde abgestimmt derart, daß realer Architekturraum und virtueller Klangraum eine neue, auf das intendierte Klangerlebnis hin konziperte virtu-reale Einheit bilden. Dabei kann das sichtbare Raumgebilde durch flächenhafte oder skulpturale Elemente oder durch Lichtobjekte angereichert oder komplettiert werden, wie es in den TopoPhonicZones im Badischen Kunstverein 1992 geschah - oder besser: geschehen mußte, um die raumnotwendige Gesamtwirkung zu erzeugen.
Das künstlerische Produkt im engeren Sinn, die Klangkomposition und ihre virtu-reale Umsetzung, ist somit unabhängig von dem architektonisch-visuellen Ereignisraum und seiner konkreten Gestalt nicht vorstellbar. Der Inhalt der Klangkomposition enthält vielmehr notwendigerweise - explizite oder implizite - Elemente der Architekturraum-Interpretation; er bewirkt damit als ein Kompositionsergebnis eine Raum-Metamorphose, er schafft einen neuen, einen künstlerischen Hyperraum. Das dynamische Raum-Klang-Erlebnis des Rezipienten - der ja nicht "nur" Hörer, sondern auch Seher ist - wird dann, auf der Basis der Kompositionsumsetzung durch folgende Parameter bestimmt: den Raumpunkt, an dem er sich jeweils befindet, die Geschwindigkeit, mit der und die Richtung, in die er sich bewegt und - natürlich - seine individuelle Fähigkeit, die Klangereignisse und die jeweilige Klang-Bild-Kombination zu erfassen und zu einem komplexen Kunstereignis zuverarbeiten. Was aber bestimmt die Komposition und die Kompositionsumsetzung, wie groß ist die "künstlerische Freiheit" bei der Gestaltung von TopoPhonien? Zweifellos liegt die künstlerische Gestaltungsidee bei der Komponistin, mag sie auch durch die physisch vorgegebene Raumstruktur angeregt werden, oder mag eine Gestaltungsidee bei der "Entdeckung" eines konkreten Raumes präzisere Züge annehmen. Die infrastrukturelle Voraussetzungen für die Umsetzung der Idee hingegen - Zahl und Positionierung der Klangquellen, Anordnung der Klanglinien - müssen auf den physischen Raum reagieren. Und hier sind die Freiheitsgrade um so geringer, je charakteristischer der Architekturraum gestaltet ist. Denn nichts kann zufällig sein, wenn ein topophonischer Hyperraum entstehen soll. Begrenzungen entstehen - natürlich - auch aus technischen Gründen - in der Zahl der Mischpult-Ausgänge und der ansteuerbaren Audiosignale - und - vor allem - in Form finanzieller Randbedingungen. Wäre dies - zukünftig vielleicht einmal - nicht mehr der Fall, so dürfte man sich fragen: Welche Vielfalt an Hyperräumen, welche klanglandschaftlichen Variationen, welche Klangwelten könnten entstehen, wenn wir Sabine Schäfer - und dann sicherlich auch anderen anderen TopoPhonikern - einen variablen Architekturraum zur Verfügung stellen könnten, dessen strukturelle Flexibilität unterschiedliche Klangräume möglich machte? Die Erzeugung von Klanglandschaften ist ein transdisziplinärer kultureller Prozeß: die künstlerische Idee, die musikalische Strukturierung, die architektonische Raumgestalt, die Adaption der visuellen Objekte, die Computer hard- und software-Konzeption, wirken untereinander und mit einer Reihe von ingenieurtechnischen Aktivitäten zusammen, damit das Gesamtkunstwerk zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort verwirklicht wird. Nimmt es wunder, daß die transdisziplinäre angewandte Kulturwissenschaft ihr Augenmerk auf diesen Vorgang richtet, daß der Wissenschaftler, den das Werk als solches fasziniert, darüber hinaus auch die Chance wahrnimmt, diesen Prozeß (sozusagen als Anwendungsfall) analytisch zu reflektieren? So schenkt Sabine Schäfer zweifachen Genuß: den Kunst- und den Denkgenuß. Dafür gehört ihr der Dankgenuß. |