hauptverzeichnis die klanginstallationen topophoniczones |
IZu den wichtigsten Aufgaben des Ohres gehört die Lokalisation der Schallquelle. Sie erfolgt mit solcher Präzision, daß man im Stimmengewirr einer Party eine verständliche Rede wahrnehmen kann, weil die genaue Bestimmung des Herkunftsortes der Sprachlaute erlaubt, sie zu einem sinnvollen Ganzen zu fügen. Im Bereich der Musik war die Fähigkeit des Ohres zur Raumwahrnehmung zu verschiedenen Zeiten von verschiedener Bedeutung. Sie hatte eine wichtige Funktion in den Anfängen der mehrstimmigen Instrumentalmusik. Beim mehrchörigen Musizieren verdeutlicht das Zusammenwirken von verschiedenen Positionen aus die musikalische Form. Der Raum wurde jedoch aus dem Denken der Komponisten mehr und mehr verbannt. Die erhoben auf den Konzertpodien, vis à vis dem Publikum, sitzenden Musiker sollten nur Herzensräume jenseits der Realität öffnen. Nur manchmal erinnerten noch im 19.Jahrhundert Komponisten mit räumlich distanziert wirkenden Klängen, die von weither - lointain - zu kommen schienen, daß zu hören mit einem Bewußtsein der Welt verbunden sein kann. Das Material der Musik war auf die Höhe, Dauer und Lautstärke von Tönen und Klängen eingeengt. Ihre Herkunft sollte unbestimmt wirken.
Raum durch Klang zu komponieren, ist zu einem neuen Thema im 20. Jahrhundert geworden, wobei am Ende dieses Jahrhunderts auch dessen innovatives ästhetisches Potential deutlich wird. Denn seit den Anfängen der Neuen Musik haben sich Komponisten - darunter Schönberg, Hindemith, Varèse - mit der Neubestimmung eines musikalischen Raumes befaßt. Die Theoretiker fingen aber erst an, den Künstlern in dieses musikalische Neuland zu folgen, als in den 1950er Jahren unübersehbar wurde, daß es sich um eine ästhetisch zentrale Kategorie handelt. Die Beschäftigung mit dem Thema "Raum-Musik" (Karlheinz Stockhausen) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch zwei voneinander abhängige Phänomene intensiviert. Einmal hatte die technische Entwicklung neue Formen der Klangproduktion ermöglicht, die zum Nachdenken über die Herkunft des Schalls (konkret über die Position der Lautsprecher) anregte. Zum zweiten hatte jedoch auch eine innermusikalische Entwicklung stattgefunden, die dazu veranlaßte, musikalische Strukturen in den äußeren Raum aufzuklappen. Zusätzlich zu den genannten Dimensionen des Klangs wurde seitdem Raum von den Komponisten in die künstlerische Reflexion einbezogen. Oft war damit der Auszug aus dem herkömmlichen Konzertsaal verbunden, der sich als wenig flexibel erwies für die Auflösung der starren Verhältnisse zwischen Zuhörer und klingendem Werk.
IIVielfältige Formen musikalischer Raumkompositionen sind im letzten halben Jahrhundert entstanden, bis dahin, daß mit Klanginstallationen regelrecht neue Kunstgattungen sich ausgebildet haben. Diese Vielfalt begründet sich in der grundsätzlichen Mehrdimensionalität des Raumes und in dem komplexen Verhältnis, das sich zwischen dem Hörraum, in dem sich Töne in die Höhe und in die Tiefe bewegen, und dem Umgebungsraum ausbildet, in dem sich der Klang ausbreitet. Zudem sind akustische Erscheinungen der Alltagswelt (Sprache, Geräusche) musikalisch integrierbar geworden. Sabine Schäfers Klangräume nehmen eine vermittelnde Stellung ein zwischen musikalischen Raumkompositionen und Installationen. Sie verrätseln den Nahraum und sind zugleich nicht nur als Modifikationen eines Umgebungsraums gedacht. Dieser dient vielmehr dazu, dem Klanggeschehen eine dreidimensionale Realität zu verleihen, wobei nicht nur durch die Positionierung der Lautsprecher eine viereckige Musik entsteht, sondern auch Bewegungseindrücke durch deren sukzessive Arbeitsweise erzeugt werden. Klänge stehen oder wandern im Raum und entfalten dabei einen Objektcharakter, den sie normalerweise nur im Hörraum besitzen. Sie sind wie Stimmen eines polyphonen Satzes im äußeren Raum übereinandergeschichtet. Ihre Bewegungen können kontrapunktisch konzipiert sein, so wenn über ruhenden Klängen Haltepunkte gesetzt sind und außerdem fließende Linien in Schleifen darüber verlaufen. Im Umhergehen kann sich der Besucher bei einer solchen Installation einen "Floridus" schaffen durch seine eigene Bewegung. Er kann auch dem Fluß der Klänge folgen, oder im Innehalten sich mit einem Ort identifizieren. Daß die Materialien der einzelnen Ebenen zuweilen verschieden sind, ermöglicht ihm, für Momente Textfragmente, die wie "minimal music" verarbeitet sind, auf ihren semantischen Sinn zu befragen. Irgendwo taucht die Stimme von Woody Allen auf mit dem programmatischen Satz: "Es fällt mir nicht leicht, zwischen Phantasie und Wirklichkeit zu unterscheiden". Ist die neue akustische Welt durch begleitendes Licht unvorhersehbar geworden, so kann der Eindruck entstehen, man sei in einen Film eingetreten, bei dem jedoch die Musik die Hauptrolle spielt.
Die TopoPhonicZones (1992) verbinden drei Räume und vermitteln wie die einzelnen Sätze eines Orchesterwerks eine je unterschiedliche Struktur. Vom polyphonen Geschehen kann man in einen rhythmisch geprägten Raum wechseln, dessen herabstürzende Klangkörper sich die Stadien ihrer Bewegung in ihrer massiven Gestalt angeeignet haben. Doch das fließende Klangband, nun nur noch angedeutet, umgibt auch hier zuweilen den Besucher, schafft ebenso einen Zusammenhang wie die grundierende Schicht in der Erinnerung dessen, der weitergegangen ist. Ein dritter Raum löst den Kontrapunkt in zwei gegenläufige Farbflächen auf, deren obertonhaltiges Gewebe mit irisierenden Schwebungen angereichert ist. Sie wirken weit entfernt von den geräuschhaltigen beiden anderen Räumen. Melodien, die sich sehr langsam verschieben, raunen in diesen farbigen Mixturen. Für den der seine Aufmerksamkeit darauf richtet, scheint nichts mehr festzustehen. Im alltäglichen Leben versichert uns das Ohr über die Ortung des Schalls den eigenen Standort, weil es erlaubt, Distanzen abzuschätzen. In den melodisch gewebten, fein nuancierten Farbfeldern meint man jedoch, den akustischen Schwingungen in ein Inneres folgen zu können, das die dreidimensionale Struktur als Umhüllung voraussetzt, obwohl es nicht mit ihr identisch ist. Die topologische Neubestimmung des Raumes in einem audio-visuellen Ereignis erzwingt eine Neuorientierung des Hörens und Sehens. Sie basiert auf einer ungewöhnlich komplizierten Computertechnologie, die Denkbares wahrnehmbar macht und auf die Veränderbarkeit der Welt hinweist. "Aber das geht Dich doch gar nichts an." Oder doch? "Das Universum expandiert." In diesen Textfragmenten aus den TopoPhonicZones deutet sich an, daß es sich um mehr handelt, als um einen interessanten Nachmittag, den man in einem Kunsthaus verbringen kann.
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