hauptverzeichnis die klanginstallationen topophonicscenes |
IMusik aus dem Laustsprecher ist eine Musik der Paradoxien: Sie ist die Musik der unsichtbaren Klänge. Das schafft eigentümliche Bedingungen selbst dann, wenn Sänger oder Instrumentalisten zu hören sind, die man bei anderer Gelegenheit auch einmal in einem live-Auftritt erleben könnte. Wer Musik im Radio oder über Tonträger hört, erlebt sie in einer grundsätzlich anderen Situation als im Konzert, in dem er die Musiker in der Regel nicht nur hören, sondern auch sehen kann. Selbst bei der live-Übertragung eines Konzertes im Radio ist der Hörer nicht in gleicherweise unmittelbar "dabei" wie jemand, der im Konzertsaal anwesend ist. Viele Rundfunkprogramme nehmen darauf Rücksicht: Häufig wird in ihnen Musik gesendet, wie man sie nur selten im Konzertsaal zu hören bekommt - also in eigenständigeren Formen der Programmzusammenstellung und der Präsentation. Dennoch kann man sagen, daß aus Lautsprechern sehr häufig Musik kommt, die ursprünglich eigentlich gar nicht für den Lautsprecher bestimmt war - und dies gilt besonders häufig für den Bereich der sogenannten "Ernsten Musik", zum Beispiel für die aus der Tradition bekannten Kunstlieder und Kammermusikwerke, Symphonien und Opern. Eine der wichtigsten Neuerungen in der Musik des 20. Jahrhunderts ist die Lautsprechermusik: Musik, die man nur über Lautsprecher hören kann und die mit herkömmlichen Klangmitteln nicht ausführbar ist. Durch diese Musik hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Hörerfahrung in ähnlich radikaler Weise verändert wie zuvor, in dessen erster Hälfte, die Seherfahrung durch die Erfindung und Entwicklung des Films. Besonders einschneidende Veränderungen haben sich daraus ergeben, daß der Komponist sein Werk nicht mehr vorab aufschreiben ("notieren") muß, damit andere Musiker es zum Klingen bringen können. In der Lautsprechermusik ist der Komponist selbst für das klingende Ergebnis verantwortlich, so daß die traditionelle Funktion der Notation entfallen kann. Auch das Repertoire der Klangmittel ist in dieser Musik radikal verändert: Der Komponist braucht sich nicht auf bekannte Instrumente und Spielweisen (einschließlich des Belcanto-Gesanges) zu beschränken, sondern er kann frei verfügen über alle Klänge der Hörwelt, die - in der konkreten Musik - sich mit technischen Mitteln konservieren, zusammenstellen ("montieren") und klanglich verändern oder - in der elektronischen Musik - auf synthetischem Wege neu produzieren lassen. In vielen Fällen führen beide Wege zu völlig neuartigen klanglichen Resultaten - die Speicherung und Verarbeitung der Klänge ("konkrete Musik") oder ihre völlige Neukonstruktion ("elektronische Musik"). Die technischen Möglichkeiten sind in der Zwischenzeit schon so weit entwickelt, daß der Hörer elektroakustischer Musik oft kaum noch unterscheiden kann, ob bestimmte Strukturen sich aus der Verarbeitung bekannter Klänge oder aus der Neuproduktion im Studio ergeben haben. Um so wichtiger wird es in solchen Fällen, daß sich dem Hörer neuartige Orientierungshilfen bieten, die ihn für den Verlust des Bekannten und Vertrauten möglichst reichhaltig entschädigen.
IIWenn man elektroakustische Musik der 1957 geborenen Komponistin Sabine Schäfer studiert, dann kann man erkennen, daß dort viele verschiedene Möglichkeiten sich miteinander verbinden, die seit den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen. Dies wird schon an dem Klangmaterial deutlich, das Sabine Schäfer verwendet: "Grundsätzlich kann man drei Arten von Klangfarben unterscheiden, die ich in Kompositionen verwende. Dies sind: zum einen rein elektronisch erzeugte Klangfarben - also Klangfarben, die ich mit einer bestimmten Klangsynthese erarbeitet habe; dann Klangfarben, die aus unserer Umwelt entnommen sind - sozusagen organische Klangfarben, z.B. Maschinengeräusche oder Stimmenmaterial, und diese Klangfarben werden von mir auf verschiedene Arten und Weisen transformiert; das dritte würde ich mit Mischfarben bezeichnen - also Klangfarben, die entstehen aus der Mischung zwischen den rein elektronischen und den gesampelten Klangfarben."1) Wenn Sabine Schäfer das Klangmaterial ihrer elektroakustischen Musik beschreibt, dann wird deutlich, daß es auf die Herkunft dieser Klänge allein nicht ankommt: Klänge aus unserer Umwelt und synthetische, im Studio produzierte Klänge müssen nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern zwischen ihnen können sich mannigfaltige Zwischenformen als "Mischfarben" ergeben. So kann neuartiges Klangmaterial entstehen aus der Verwandlung des scheinbar Bekannten. Offensichtlich spielen konkrete Klänge in ihrer Musik eine große Rolle - Klänge aus der Umwelt (z.B. Maschinengeräusche und Stimmlaute), auch vorgefundene Musik. Neben bekannten Klängen findet man aber auch technisch verfremdete Klänge - sogar gänzlich neuartige, synthetisch hergestellte Materialien: Elektronische Klänge, die sich von bekannten Umweltklängen oft dadurch abgrenzen, daß in ihnen alle klaren Begrenzungen aufgehoben sind, die man aus der alltäglichen und traditionell geprägten Hörerfahrung kennt. Diese Klänge weichen oft von traditionellen Tonordnungen ab - sei es in feinsten Abstufungen der Tonabstände (der "Mikrointervalle"), sei es in weiträumigen und kontinuierlichen Veränderungen des Klangstoffes, in schwellenden, vibrierenden, auf- und abgleitenden, sich unaufhörlich umfärbenden und vielfältig im Raum bewegenden Klängen. Vor allem mit fein gestuften Mikrointervallen und mit subtilen Raumbewegungen hat Sabine Schäfer in ihrer elektroakustischen Musik vollkommen neuartige Klangwirkungen erschlossen - Klangphänomene, die alle bekannten Konturen und Abgrenzungen überwunden zu haben scheinen und einmünden in den freien Strom der Klänge und der klanglichen Prozesse. Viele neuartige Möglichkeiten der Elektronischen Musik ergeben sich daraus, daß die Technik dazu beitragen kann, die Grenze zwischen einzelnen Klängen zu überwinden und weiträumige Klangflächen zu schaffen: Klänge als Symbole des Unbekannten, des sich ständig weiter Entwickelnden. Solche Klänge spielen auch in Sabine Schäfers Musik eine überaus wichtige Rolle. Besonders plastisch und bildkräftig werden sie oft gerade dadurch, daß sie in Kontrast treten zu ganz andersartigen Klängen: Zu kurzen, knappen, scharf geschnittenen Geräuschen, wie man sie aus der täglichen Hörerfahrung kennt. Solche lakonisch-drastischen Geräusche finden sich sogar als drastische Präsentation "realistischer" Klangeindrücke: fast noch im Rohzustand, in geradezu aggressiver Ausdrucksstärke. Die Vielfalt, Kraft und Frische der elektroakustischen Klangwelt ergibt sich für Sabine Schäfer gerade daraus, daß ihr Material nicht begrenzt ist - auch nicht auf die Möglichkeit rein synthetisch erzeugter Klänge, sondern vielmehr in bewußter Einbeziehung auch der realen Hörerfahrung im Zeitalter der Maschinen und Massenmedien: "...Ich denke, daß dies typisch für unseren Zeitgeist ist: die Aggressivität und Körperlichkeit von Klängen. In meiner Komposition TopoPhonicScenes wie auch in anderen Stücken wird dieser Ausdruck u.a. dadurch erreicht, daß aus einem mechanischen Vorgang in unserer Umwelt Geräusche genommen werden, die diese Kraft ausstrahlen können. Es würde mir schwer fallen, z.B. über eine abstrakte Klangsynthese die gleiche Intensität hervorzurufen..."1) Sabine Schäfers Musik oszilliert ständig zwischen den Extremen des Realistischen und des Abstrakten, des klar Umrissenen und des frei Fließenden, des manisch repetiven Maschinellen und des ungestauten Klangstromes, der kontinuierlich gleitenden oder blitzhaft wechselnden Raumbewegungen. Diese Musik bricht Grenzen auf - nicht nur Begrenzungen traditioneller Klangstrukturen, sondern auch begrenzte Möglichkeiten traditioneller Aufführungspraxis: Musik als Lautsprecher- Klanginstallation entwickelt sich zur Klangskulptur und öffnet sich für neuartige Synthesen von Klang, Raum und Licht. Diese verschiedenen Komponenten verbinden sich in neuartige Konfigurationen und Prozessen, die den Wahrnehmenden in sich einbeziehen und ihn mit sich führen auf Entdeckungsfahrten in Unbekanntes.
III1993, im Alter von 36 Jahren, komponierte die in Karlsruhe lebende Komponistin Sabine Schäfer ihre "TopoPhonicScenes" für ein Ensemble von 16 Lautsprechern.
Die "TopoPhonicScenes" gehören zu einem Zyklus von Stücken, in dem dreidimensionale Bewegungen der Klänge über die verschiedenen Lautsprecher eine wesentliche Rolle spielen. Die vielfältigen Möglichkeiten der räumlichen Verteilung und Veränderung zeigen sich in diesem Zyklus in verschiedenen Erscheinungformen - bald mit diskontinuierlichen, im Raum hin und her springenden Klangkontrasten, bald mit zusammenhängenden Klangentwicklungen. Hämmernde Geräusche, wie sie Maschinen in metallverarbeitenden Fabriken hervorbringen, und spontane menschliche Stimmäußerungen jenseits einer kodifizierten Sprache: Mit solchen, nur scheinbar extrem gegensätzlichen Klang- und Ausdruckswerten arbeitet Sabine Schäfer in bewußter Konfrontation, die die Ähnlichkeit der prägnanten Klangwirkungen nur um so deutlicher macht: Die maschinellen Metallgeräusche wirken zusammen mit den Stimmen womöglich stärker und unmittelbarer als Geräusche von Schlaginstrumenten, wie sie von Menschen produziert werden können: "Mir hat bei den Schlaginstrumente die Rauhheit gefehlt; die habe ich erst in diesen Maschinengeräuschen gefunden. "1) Dabei versteht sich von selbst, daß die Geräusche nicht nur im Rohzustand verwendet werden, sondern auch in vielen Formen technischer Verarbeitung, Verwandlung und Verfremdung: "...Das für mich Hochinteressante ist, daß man die Klangbilder natürlicher Geräusche oder auch Maschinengeräusche sehr unterschiedlich umbiegen, verformen, ändern kann. Die Art der Transformation ist sehr wichtig, um entweder einen Charakter zu verstärken oder aber das ganze Material so zu verfremden, daß man es niemals mehr auf seinen Ursprung zurückführen könnte. "1) In der Konfrontation der Maschinengeräusche mit menschlichen Stimmlauten kann um so deutlicher werden, wie stark diese (scheinbar so verschiedenen) Klangfamilien unsere Hörerfahrung prägen - bis hin zu Anklängen an Muster populärer Musik des modernen Maschinenzeitalters, wie sie sich in Sabine Schäfers Komposition "TopoPhonicScenes" finden. Im ersten Teil des Stückes stehen rasch hin und her springende Klangereignisse im Vordergrund. Dies zeigt sich schon im ersten Klang dieser Musik - in einem knappen, explosiven Sprachlaut. Der Stimmlaut , mit dem das Stück beginnt, provoziert die Antwort anderer Stimmen. Die Laute bleiben aber isoliert. Sie führen nicht zur Sprache; man hört nur eine erste Annäherung an Musik - ein textloses Singen, vor-sich- hin-Trällern. Dieser Musikfetzen reißt rasch wieder ab, und anschließend setzt ein deutlich kontrastierender quietschender Stimmlaut eine deutliche Zäsur. Die ersten Stimmlaute des Stückes sind apodiktisch kurz. Erst später hört man Laute in etwas stärkerer Dehnung - erste Ansätze zu einem Ruf, der gehört und beantwortet werden will. Auch diese Entwicklung reißt rasch wieder ab: Ein aus der Alltagswelt bekanntes Geräusch setzt den Schlußpunkt. Das Geräusch eines Streichholzes ist in Sabine Schäfers Stück der erste Klang, der nicht von menschlichen Stimmen kommt. Dieses Geräusch setzt das Signal für weitere, jetzt instrumentale Klänge - für einen rudimentären Schlagzeugrhythmus. Der hektische , aber regelmäßige und monotone Schlagzeugrhythmus verbindet sich mit - nicht weniger hektischen - Stimmlauten, die allerdings in unregelmäßigen Abständen jeweils blitzartig einsetzen, dabei an früher gehörte Stimmlaute erinnern und zuvor Gehörtes weiter entwickeln. Danach reißt die Entwicklung wieder ab. Auch diesmal findet sich wieder ein kontrastierender Klang, der den Schlußpunkt setzt: Ein etwas längerer Klang, der an einen geblasenen Ton denken läßt: Eine erste Andeutung des Verharrens, eines zeitlich andauernden Klanges - in instrumentaler Beantwortung von Veränderungen, die im Bereich der Stimmlaute schon vorher eingesetzt haben. Am Schluß dieses Abschnittes öffnet sich die Entwicklung zum ausgehaltenen Klang. Wer genau zuhört, kann feststellen, daß der ständig und penetrant wiederholte Rhythmus seine Spuren selbst bei den spontanen Stimmlauten hinterläßt: Auch unter diesen lassen sich vereinzelte Wiederholungen entdecken. Erst dann, wenn das monotone Geräusch verschwunden ist, gewinnen die Stimmlaute ihre Kraft und Unmittelbarkeit zurück. Im Folgenden verstärkt sich die Kraft der Wiederholung: Zuvor waren nur einzelnen Stimmlaute wiederholt worden. Jetzt wiederholen mehrere Stimmlaute sich in Gruppen, und zwar wiederum überlagert mit einem ziemlich monotonen Geräusch. Zum Schluß kommt diese Entwicklung wieder dadurch, daß ein deutlich kontrastierendes Geräusch einsetzt: Ein knappes Holzgeräusch in ziemlich hoher Lage. Wer auf größere Zusammenhänge achtet, kann erkennen, daß dieser Abschnitt ähnlich anfängt wie das Stück selbst: Mit einem Stimmsignal. Zu Beginn des Stückes hat man dieses Signal zunächst nur in einer einzigen Stimme gehört. Später beginnt etwas Neues: Wieder ein kurzer geräuschhafter Klang, jetzt aber in neuer Gestalt: Als Gleitklang. Der Gleitklang setzt ein Zeichen für die künftige Entwicklung: Man erkennt, daß dieser Klang ein wenig länger dauert, daß ihm etwas Zeit zur gleitenden Veränderung belassen wird. Dies bereitet darauf vor, daß gleich anschließend ein noch längerer Klang einsetzt: Ein ausgehaltener Baßklang. Der lange Baßklang wird rhythmisch belebt: Ihm überlagern sich kurze Geräusche, die an zuvor gehörte Stimmen erinnern: Zuerst ein kurzer Impuls, dann mehrere ausgedehnte Glissandi. Danach setzt wieder ein deutlich kontrastierender Klang ein, der einen neuen Schlußpunkt zu setzen scheint. Der lange, instrumental wirkende Schlußton erinnert an ein ähnliches Schlußsignal, das man am Ende des vorausgegangenen Abschnittes gehört hat. Im Vergleich der beiden Schlußsignale wird deutlich, daß das frühere kürzer, das spätere etwas länger ist - ein Zeichen dafür, daß die Entwicklung weitergegangen ist. Dieser lange Ton ist das erste Signal, das anders placiert ist als die vorigen: Bisher war stets zu hören, daß auf ein Signal unverzüglich etwas Neues folgt. Jetzt ist es anders: Der lange Ton wiederholt sich mehrmals, wobei sich sein Klangbild Schritt für Schritt verdichtet, der Klang also stärker wird. Die Musik kommt gleichsam ins Stocken - bis sie, wenig später, wieder herausgerissen wird. Das Schlußsignal dieses Abschnittes antwortet seinem Anfangssignal: in leicht variierten Wiederholungen, wobei diesmal der Klang von Mal zu Mal schwächer wird. Wenn man den ersten Teil des Stückes im größeren Zusammenhang hört, dann kann man erkennen, daß er Schritt für Schritt vorbereitet auf das Klangbild des zweiten Teiles: Die zunächst extrem kurzen Abschnitte des ersten Teiles werden allmählich immer länger und zusammenhängender, bis sie schließlich im zweiten Teil zur einheitlichen Klangfläche zusammenwachsen. Im fade-out, im klanglichen Ausblenden artikuliert sich der Abschluß des ersten Teils. Ähnlich ist der Schluß des zweiten Teiles gestaltet - jetzt allerdings mit ruhigen, zusammenhängenden Klängen und deswegen in einem viel langsameren Prozeß des Ab- und Ausklingens. So kommt die Musik endgültig zur Ruhe. "TopoPhonicScenes" ist eine Komposition, deren Gestaltungsidee sich schon beim Hören der ersten Klänge erschließt. Die kontrastierenden Klangbilder des Stückes lassen sich deuten als Symbole einer Spannung, die heute das musikalische und das außermusikalische Leben prägt - in den heftigen Impulsen und im stetigen, ununterbrochenen Fluß der Klänge. Diese Lautsprechermusik läßt sich hören als ein Versuch, Spannungen - in der Musik und anderswo - nicht in vordergründige Harmonie zu verkleistern, sondern sie ungescheut auszutragen in der Hoffnung, sie damit zu bewältigen. 1) Interview geführt von Rudolf Frisius mit Sabine Schäfer am 10.12.1993 in Karlsruhe.
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