DIE «MICROSONICAL SHINING BIOSPHERES NO. 1»
von Julia Gerlach
aus: Neue Zeitschrift für Musik 6/2009
Installationsansichten, Fotos: Reinhard E. Vollmer
Beim Betreten des stark abgedunkelten Installationsraums, in dem sich die MicroSonical Shining Biospheres No.1 des Künstlerduos <SA/JO> (Sabine Schäfer und Joachim Krebs) ereignen, wird unmittelbar der dichte und kenntnisreiche theoretische Über- und Unterbau der künstlerischen Arbeit, der sich über Plakate und einführende Texte andeutet und in dem dazugehörigen monografischen Katalog zur Entfaltung kommt, zu einem rein sinnlich wahrnehmbaren audiovisuellen Theater der Natur heruntergefahren. Die ästhetischen Erwartungen, die man als Besucher entlang der Einführungstexte entwickelt haben mag, sowie die in der Installation alle Sinne betreffenden Wahrnehmungsleistungen erfahren Ähnliches wie zuvor, im kreativen Prozess, die Klänge und Bilder der Natur: Es findet eine Entschleunigung und Dehnung statt, der eigenen Wahrnehmung und des Bewusstseins. Von der abstrakten komplexen Makroebene aus begibt sich der Besucher in einen mikro-strukturalen Kosmos, lenkt seine Aufmerksamkeit auf die von dem Künstlerpaar mikroskopierten und räumlich disponierten akustischen und visuellen Details und gerät fast zwangsläufig in einen meditativen Zustand. In diesem Sinne erfolgt eine durch die Installation bewirkte Wahrnehmungs- und Bewusstseinsverschiebung.
In dem quadratischen sub_Raum am ZKM, der unterhalb des so genannten «Kubus» gelegen und dem eigentlichen denkmalgeschützten Gebäude vorgelagert ist, werden immer mal wieder Installationen präsentiert, zuletzt war hier eine Lichtinstallation der Künstlerin rosalie zu sehen. Nun also wird in dem Raum die Arbeit von <SA/JO> als ein Teil des vielseitigen Jubiläumsprogramms zum zwanzigjährigen Bestehen des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe und Auftaktprojekt für die zukünftige Zusammenarbeit des ZKM mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) präsentiert. Eine runde Plattform, die in den quadratischen Raum fest verankert ist und an runde Drehbühnen oder Unterbühnen in Theaterhäusern erinnert, wird zur Medien- und Wahrnehmungsbühne, in deren Zentrum vier Reihen gemütlicher Zuschauersessel platziert sind. Die runde Grundanlage wird von dem Künstlerpaar in ihrer Rauminszenierung aufgegriffen.
Das im Feld der Klangkunst seit Langem bekannte Künstlerduo <SA/JO> verbindet hier erstmalig ihre mikroskopische Raum-Klangarbeit mit einer vergleichbar im Detail formbaren Lichttechnik: In einem Halbrund hängen quadratische LED-Licht-Platten von der Decke. In den sich nach außen hin vergrößernden Abständen zwischen den Platten bildet sich die zunehmende Auflösung des Blickfelds an den Rändern des Auges ab, in der Mitte sind mehrere Platten als Fokus des Sehfeldes zu einer größeren Fläche verschmolzen. Die LED-Platten, die sonst für Werbung oder Großprojektionen eingesetzt werden, zeichnen sich durch eine weite Rasterung aus, eine Pixelung, die dem Künstlerpaar die Möglichkeit bietet, ihren mikroskopischen Ansatz im Auditiven, den sie in den vergangenen gut zehn Jahren verfeinert haben, auf die visuelle Ebene zu übertragen. Die LED-Elemente bilden zudem eine horizontale Ebene aus, die wiederum das Gefühl von Weite und Raum erzeugt und zugleich durch die Schmalheit des Bandes neben der Mikroskopierung eine weitere Abstraktion vom konkreten Bild leistet.
Den Bildern und akustischen Elementen liegen drei Basiskategorien von Materialressourcen zugrunde: Natur – Tier – Mensch. Die in Lichtpunkte aufgelösten Bilder zeigen in drei klar voneinander abgegrenzten Teilen drei Grundelemente der Natur: Wasser, Vegetation, Feuer: Entsprechend überwiegt in den Teilen je eine der Licht-Farben Blau, Grün oder Rot. Diesen Biosphären zugeordnet sind entsprechende Tierlaute – von Vögeln, Insekten, Wasserwesen –, die durch ihre meist ritornelle Grundgestalt eine Homogenität des Materials aufweisen. Nie allerdings erscheint eine Tier-Stimme als Originalaufnahme, genauso wenig allerdings in «verfremdeter» Gestalt. «Das Entscheidende ist jedoch», schreiben die Künstler, «dass keinerlei Veränderung, Verarbeitung oder gar Verfremdung der einzelnen Klangsubstanzen vorgenommen wird, sondern nur die inneren Dimensionen und Perspektiven sich ändern, quasi mutieren, während die Relationen zwischen Tonhöhen, Rhythmen und Klangfarben gleich bleiben.» Die Tier-Stimmen werden transponiert, verlangsamt, entschleunigt bis dazu, dass nur noch die Membran des Lautsprechers rhythmisch vibriert und sich das akustische Phänomen in ein haptisches verwandelt.
Zu den Tierlauten kommen die Künstler über riesige Archive, die sie durchhorchen, in deren Mikrostruktur sie eindringen und deren teilweise außerhalb des menschlichen Hörbereichs liegende Frequenzen durch die Verlangsamung des Tonmaterials überhaupt erst hörbar werden. So dürften selbst Tierstimmenforscher ihre Schwierigkeiten haben, die einzelnen Arten zu bestimmen, die sich in der Installation virtuell begegnen. Interessant auch, dass die einzelnen Tiergruppen wie Amphibien, Vögel und Insekten sich durch die akustischen Manipulationen ähnlicher werden oder die Ähnlichkeiten ihrer Laute deutlicher hervortreten.
Bei der Mikroskopierung des Klangs wird auch ein räumlicher Mikrokosmos erschlossen, aus dem sich die Raumklangsteuerung erschließt. Die kleinen Bewegungen der Tiere in der Natur werden durch die quadrophone Aufstellung der Lautsprecher räumlich ausgedehnt. Auch die Raumklangbewegungen, die zur Dynamik des Szenariums entscheidend beitragen, sind also bereits im Klang selbst vorhanden und werden nicht künstlich inszeniert, wie überhaupt der Anteil des Technisch- Artifiziellen gering ist, oder besser: als Abstrahierung immer von den Tendenzen der Material- Ressourcen ausgeht. Die Inszenierung besteht also weniger in den einzelnen Klangphänomenen als vielmehr in der Auswahl und Dramaturgie. Die Dramaturgie richtet sich musikalisch an Prozessen aus: akustischen Mutationen, räumlichen Verlagerungen, Schichtungen von Klangmustern, die sich gegen einander verschieben oder zu denen neue hinzutreten. So entsteht in enger Relation mit dem Optischen, allerdings ohne gestalterische Doppelungen eine ständige Bewegung in einem Dazwischen. Die Naturphänomene – visuell und auditiv vergrößert, gerastert und verräumlicht, begeben sich in eine Interaktion miteinander und bilden Biosphären aus.
Die Idee des Übergangs oder des Dazwischen ist für das Künstlerduo <SA/JO> konzeptuell zentral: zwischen konkret und abstrakt, zwischen natürlich und artifiziell – «man könnte auch sagen, dass die subjektive Inhaltsmaterie des Originalklangs sich zu einer entsubjektivierten Ausdrucksmaterie des transformierten Fragmentmusters entwickelt» – und zwischen Auditivem und Visuellem: Auf dem imaginären Weg durch den Raumklang-Farblicht-Körper begegnet der hörende und sehende Besucher der Installation einigen ungewöhnlichen Audio-Licht-Mischwesen.
MicroSonical Shining Biospheres
Download des Original-Artikels als pdf © Schott Music, Mainz 2010
Angaben zur Autorin: Julia Gerlach, Journalistin, Musikwissenschaftlerin und Kulturmanagerin im Bereich der zeitgenössischen Musik, Klang- und Medienkunst.
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